Hintergrund

Hintergrund

Was ist der BMVI-Fonds?

Das Border Management and Visa Policy Instrument (BMVI) ist ein europäischer Fonds, in welchen alle EU-Mitgliedsstaaten sowie Schengen-assoziierten Staaten wie die Schweiz Gelder einzahlen. Finanziert werden damit Massnahmen wie der Einrichtung von IT-Systemen zur Migrationskontrolle, der Durchführungen von Risikoanalysen oder dem Ausbau von Überwachsungsanlagen. Für diese «finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik» stehen von 2021 bis 2027 insgesamt 6,24 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Vorgängerfonds, ISF Grenze, verfügte für die Jahre 2014 bis 2020 für die gleiche Zielsetzung über weniger als die Hälfte an Gelder. Im Vergleich zum ersten solchen Fonds für die Periode 2007 bis 2013 ist die Zunahme noch markanter: Damals standen 1,82 Milliarden Euro zur Verfügung.

Kritik: Die Massnahmen, welche durch den BMVI-Fonds finanziert werden, dienen grösstenteils der Bekämpfung von Migration. Die Auswirkungen dieser Politik sind bekannt: Gewalt, Elend und Tod sind an den europäischen Aussengrenzen zum Alltag geworden. Menschen auf der Flucht werden entrechtet, geprügelt und abgeschoben – sei es an der kroatisch-bosnischen Grenze, auf dem Mittelmeer, entlang des Evros in Griechenland oder in den polnischen Wäldern an der Grenze zu Belarus.

Was ist das offizielle Ziel?

Der BMVI-Fonds soll dazu beitragen, eine «solide und wirksame integrierte europäische Grenzverwaltung an den Aussengrenzen sicherzustellen und damit dazu beizutragen, ein hohes Mass an innerer Sicherheit in der Union zu gewährleisten und gleichzeitig den freien Personenverkehr innerhalb der Union (…) zu wahren». 

Kritik: Diese Idee hinter dem BMVI-Fonds ist altbekannt: Um die Personenfreizügigkeit im Innern des Schengen-Raums aufrechtzuerhalten, brauche es verstärkte Kontrollen der EU-Aussengrenzen und die Bekämpfung von Migration. Die «innere Sicherheit in der Union» und die Gewalt an den EU-Aussengrenzen sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Bewegungsfreiheit von Menschen mit einem europäischen Pass, die sich nicht nur innerhalb der EU frei bewegen können, sondern auch für fast alle Staaten weltweit ein Visum erhalten, wird gekoppelt an die Einschränkungen, die insbesondere Menschen aus afrikanischen Staaten, dem Mittleren Osten oder Südostasien erfahren. Die Unterschiede können riesig sein: So braucht eine Person mit einem Schweizer Pass nur für 22 Staaten ein Visum, während bspw. eine Person mit afghanischer Staatsangehörigkeit ohne Visum nur in 6 Länder reisen kann. Die so gezogenen Trennlinien widerspiegeln oft wirtschaftliche und ökologische Ausbeutungsverhältnisse, die einer imperialen und neokolonialen Logik folgen.

Wofür ist das Geld gedacht?

Folgende Massnahmen können mit Geldern aus dem BMVI-Fonds finanziert werden:

Kritik: Die aufgeführten Massnahmen dienen grösstenteils der Bekämpfung von Migration: Die Überwachungssysteme an den EU-Aussengrenzen sollen ausgebaut, die Kontrollen erhöht und die lokalen Grenzpolizeien aufgerüstet werden. Neue Boote, Geländefahrzeuge, Hubschrauber, Drohnen, Hightech-Kameras, Hundestaffeln u.v.m. werden finanziert. Auch werden moderne IT-Systeme und einheitliche Datenbanken eingerichtet. Die systematische Gewalt auf den Fluchtrouten ist gut dokumentiert: Menschen werden geschlagen, misshandelt, beraubt und schliesslich zurückgeschickt (Pushbacks). Es ist offensichtlich, dass sie sich durch eine weitere Militarisierung der Grenzen nur noch verschärfen wird. So ist bspw. die kroatische Grenzpolizei seit langem für ihre Brutalität gegenüber Menschen auf der Flucht berüchtigt. Finanziert wurden diese kroatischen Grenzoperationen auch über den Schengen-Fonds für die innere Sicherheit (ISF), der Vorgänger-Fonds des BMVI.

Wie werden die Gelder verteilt? 

Den grössten Teil der Gelder erhalten Mitgliedstaaten mit besonders langen oder strategisch wichtigen Schengen-Aussengrenzen. Jeder Mitgliedstaat erhält einen festen Betrag von 8 Millionen Euro, mit Ausnahme von Zypern, Malta und Griechenland, die jeweils 28 Millionen Euro erhalten. Die restlichen Mittel werden nach vier Kriterien auf die Mitgliedstaaten verteilt: Landaussengrenzen (30% der verbleibenden Mittel), Seeaussengrenzen (35%), Flughäfen (20%) und Konsulate (15%).

Kritik: Die Möglichkeit zu beurteilen, wie das Geld aus dem BMVI-Fonds verwendet wird, weist erheblich Mängel auf. Auch ist es kompliziert, die Gelder auszusetzen, wenn dies als nötig erachtet würde. So ist zwar festgehalten, dass die Einhaltung des EU-Rechts sowie der «Werte der Europäischen Union» bei der Verwendung der Mittel bedeutend seien. Gelder sollen ausgesetzt werden können, wenn ein «klares Risiko eines schwerwiegenden Verstosses gegen die Werte der Union» vorliege. Jedoch wird dieses «klare Risiko eines schwerwiegenden Verstosses» nicht weiter definiert. Dies hat zur Folge, dass die Europäischen Kommission eine erhebliche Ermessensbefugnis darüber erhält, was als möglicherweise problematisch angesehen wird. Die Europäische Kommission war in ihrer Be- und Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen an der EU-Aussengrenze bislang oft zurückhaltend. Weiter stellt die fehlende Klarheit in Bezug auf die Definition von Verstössen auch ein Mangel an demokratischer Kontrolle über die Verwendung der Mittel dar.

Quellen

BMVI-Fonds, Informationen vom Staatssekretariat für Migration

ISF-Fonds, Informationen vom Staatssekretariat für Migration

VERORDNUNG (EU) 2021/1148 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 7. Juli 2021 zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik im Rahmen des Fonds für integrierte Grenzverwaltung

BESCHLUSS DES RATES über die Unterzeichnung — im Namen der Europäischen Union — des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über zusätzliche Regeln in Bezug auf das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik im Rahmen des Fonds für integrierte Grenzverwaltung, 10.07.2023

«At What Cost – Funding the EU’s security, defence, and border policies», Bericht des Transnational Institute, 2021–2027, 28.04.2022

Beteiligung der Schweiz 

Das BMVI ist eine Schengen-Weiterentwicklung. Als Schengen-assoziierter Staat ist die Schweiz grundsätzlich dazu aufgefordert, diese zu übernehmen. Über die sieben Jahre Laufzeit des Fonds wird sich die Schweiz voraussichtlich mit rund 300 Millionen Franken daran beteiligen, wobei der Betrag noch steigen dürfte. 

Kritik: Die Schweiz finanziert die Militarisierung der europäischen Aussengrenzen aktiv mit. Damit macht sie sich mitverantwortlich für die Gewalt, das Elend und das Sterbenlassen, das auf den Fluchtrouten nach Europa zum Alltag geworden ist.

Abläufe und Positionierung der Parteien

Die Sicherheitskommission des Nationalrats hat der Teilnahme am BMVI-Fonds im Oktober 2023 zugestimmt. Anschliessend wurde der Vorlage auch in der Wintersession 2023 im Nationalrat angenommen. Im Januar 2024 hat die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates die Beteiligung der Schweiz am BMVI-Fonds gutgeheissen. In der Frühjahrssession 2024 hat dann auch der Ständerat der Vorlage zugestimmt.

In der Abstimmung im Nationalrat stimmten einzig die SVP dagegen. Parlamentarier*innen der Grünen enthielten sich. Sie befürchten Menschenrechtsverletzungen an den Aussengrenzen. Alle anderen Parteien, inklusive der SP, stimmten dafür. Die SP argumentierte, dass es sich beim BMVI-Fonds um einen Solidaritätsmechanismus handle. Es sei unabdingbar, «die besonders belasteten Schengen-Staaten bei der Kontrolle der Aussengrenzen zu unterstützen». Sie forderte einzig eine Untersuchung zum genauen Einsatz der Gelder. 

Kritik: Der BMVI-Fonds ist kein Solidaritätsmechanismus. Pushbacks, Gewalt auf den Fluchtrouten und Stacheldrahtzäunen sind zutiefst unsolidarisch gegenüber flüchtenden und migrierenden Menschen. Dem Hinweis, die Schweiz profitiere vom Momentanen europäischen Asylsystem, schwingt zudem eine zutiefst rassistische Vorstellung mit: Er brandmarkt nicht-europäische Menschen für Europa und die Schweiz pauschal und abwertend als Gefahr.

Quellen

Parlamentarisches Geschäft 23.059: Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands. Finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik

Visumpolitik und Grenzverwaltung: Ja zur Teilnahme an EU-Fonds, Medienmitteilung Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats, 10.10.2023

Debatte Naionalrat, Wintersession 2023, 06.12.2023

Nationalrat für Millionenbeitrag an Schutz der EU-Aussengrenze, SDA-Meldung zur Annahme im Nationalrat, 06.12.2023

SiK-S befürwortet Beteiligung am europäischen Fonds für Visumpolitik und Grenzverwaltung, Medienmitteilung Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats, 12.01.2024

^^